Einen Online-Beitrag mit vulgärem Kraftausdruck zu beginnen verbietet allein schon die „Netiquette“. (Anmerkung der Redaktion: Netiquette bedeutet Freundlichkeit in der Online-Kommunikation :) In diesem Fall allerdings muss man das Kind aber schon beim Namen nennen, handelt es sich doch um ein beachtliches Designwerk, das Marinus Veit jüngst als Zwischenprüfungsarbeit vorgelegt hat: „Arsch ohne Profil“. Als ehemaliger Sportsoldat der Jugend-Nationalmannschaft Deutschlands im Biathlon hat Marinus vor zwei Jahren einen radikalen Schnitt gemacht, die Sportkarriere beendet und eine Ausbildung an der Lazi Akademie im Fachbereich Grafik- & Kommunikationsdesign begonnen.
Wer aber glaubt, das Buch sei nur die gnadenlose Abrechnung mit dem Profisport, der irrt …
Der eigentliche Grund, die vorgezeichnete Karriere mit Olympischen Spielen, Weltmeisterschaften, Medaillen und bester Bezahlung zu beenden war das innere, stets wachsende Gefühl, seiner eigentlichen kreativen Bestimmung nicht nachgehen zu können und im Profisport zwar erfolgreich, aber irgendwie als „Arsch ohne Profil“ zu enden. Dabei hat Marinus aber eine grundsätzliche Lebenserkenntnis gemacht, die über seine Erfahrungen als Biathlet weit hinausreicht: „Nicht das Fähnchen im Wind zu bleiben, sondern selbst zum Sturm zu werden“. Aufgrund dieser Erkenntnis hat Marinus eigentlich das Buch „Arsch ohne Profil“ geschrieben, gestaltet und als Zwischenprüfung vorgelegt. Ein Werk, das – genau wie seine Entscheidung dem Leben gegenüber – mit gewohnten Standards beim Medium Buch bricht und diese auf den Kopf stellen kann. „Kann“ deswegen, weil das Buch noch nicht veröffentlicht ist und bisher lediglich in acht Einzelstücken für die Zwischenprüfung an der Lazi Akademie aufgelegt wurde. Wenn es aber zur Veröffentlichung kommt, wird im Businessbereich Buchproduktion einiges nicht mehr so sein, wie es vorher war.
Bücher neu denken
Was ist neu an Marinus’ Buch, was andere Bücher nicht haben? Eine ganze Menge. Da ist zum Beispiel ein Lesezeichen, das beim Lesen „mitwandert“ und somit stets aktuell Orientierung bietet, in welchem Thema man sich gerade befindet. Oder auch die Auswahl erleichtert, die Kapitel anzusteuern, die man als nächstes lesen möchte ohne sich Seite um Seite durch das Werk blättern zu müssen. Neu ist auch das Produktionsverfahren, das den Bedruckstoff Papier mit Lederresten ergänzt und somit extreme Einsparungen beim „Bäume-Verbrauch“ ermöglicht. Neu auch, dass das 112 Seiten starke Werk eine ausgewiesene One Man-Show ist, in der der Designer, der Autor und der Illustrator alle den gleichen Namen tragen: Marinus Veit!
Nils Hemme Hemmen hat mit Marinus gesprochen über die Design-Finessen bei „Arsch ohne Profil“, aber auch über die Zukunftsperspektiven und die Pläne des angehenden Grafikdesigners, auch in kommenden Zeiten drohenden „Arsch ohne Profil“-Karrieren kreativ aus dem Weg zu gehen.
„Schuld“ an der Entdeckung Deiner kreativen Ader war eigentlich der Mentaltrainer Jörg, der Dich in Deiner Sportlaufbahn gecoacht hat und dessen Maltherapie Du am Anfang überhaupt nicht mochtest …?
Ja, also damit konnte ich am Anfang gar nichts anfangen. Ich wusste schon, dass ich mir über Mentaltraining Vorteile in meinem Sport verschaffen will, aber Bildermalen war nicht so mein Ding. Als ich jedoch nach ein paar Übungseinheiten die Wirkung visueller Reize verstand, war es um mich geschehen. Ich war Feuer und Flamme. Sieben Jahre lang lernte ich kreative, fantasievolle Bilder für Lösungen zu entwickeln.
Genau genommen hat Dich dann aber das Mentaltraining vom Sport weggebracht, obwohl es doch eigentlich für den Sport gedacht war?
Nicht so direkt. Es hat mich am Anfang für meinen Sport motiviert. Erst über die Jahre hinweg habe ich entdeckt, dass aus der anfänglichen Abneigung gegenüber dem Malen eine immer größere Leidenschaft geworden ist. Und parallel dazu wurde mir immer mehr klar, wohin die Reise in meinem Leben gehen soll. Nämlich dahin, wo ich die größte Leidenschaft empfinde. Und je mehr Leidenschaft ich für das Malen entwickelte, desto mehr nahm die Begeisterung für den Sport ab. Und plötzlich war da die Frage im Raum: Machst Du jetzt Deine größere Leidenschaft zum Inhalt eines neuen Lebens oder bleibst Du in den festgefahrenen Bahnen des Sports, gibst Interviews, gewinnst Rennen, aber das alles ohne große Begeisterung und Motivation. Und da wusste ich, dass ich so eine „Arsch ohne Profil“-Karriere nicht will und umschwenken muss. Deshalb auch der Titel des Buches …
Wie kamst Du auf die Idee, das Old School-Objekt „Buch“ gestalterisch neu zu denken?
Ja, das Buch ist ja eigentlich eine wahre Spielwiese für Gestalter. Bei den meisten heutigen Werken hört’s aber leider beim Cover meistens schon auf und das finde ich traurig. Das Buch gibt uns viel mehr Lesewert, als viele digitale Devices von heute – allein schon wegen der Haptik und den Möglichkeiten der Darstellung.
Du bist über Dein Projekt vom Grafikdesigner zum professionellen Buchproduzenten geworden?
Ich habe mich gefragt, was kann man am Medium Buch heutzutage alles besser machen – ohne aber die Kosten explodieren zu lassen. Ich habe mir in diesem Zuge sämtliche Details vorgenommen und diese hinterfragt wie Buchcover, Typografie, Layout, Bedruckstoff, Format, Lesekomfort, Bindetechnik. Dann habe ich jeweils Ideen dazu entwickelt, wie man diese einzelnen Themen verbessern bzw. erneuern kann. Darüber hinaus habe ich den Text geschrieben und alle 52 Illustrationen selbst gefertigt. Ich bin kein Illustrator und auch kein Texter, aber ich hab’s halt gemacht. Übrigens: Auch das Binden der acht Bücher habe ich selbst durchgezogen.
Über die Form und den Inhalt des Buches hinaus hast Du aber auch über dessen Ökobilanz nachgedacht, wenn es tatsächlich einmal in Serie gehen sollte?
Ja, ich habe mich über Papier informiert und in Italien beispielsweise einen Hersteller recherchiert, der für die Papierproduktion Lederreste aus der Industrie nutzt und somit letztendlich auch den Verbrauch an Bäumen stark reduziert. Dieses Papier habe ich für das Cover meines Buches verwendet. Und dieses Papier ist dazu noch hochwertiger als herkömmliche Kartonage, weil es reissfester und dazu biegsamer ist.
Das Projekt hat Dir aber auch viele Einblicke verschafft in Produktionsthemen rund um das Thema Buch, die für herkömmliche Grafikdesigner oft fremd sind. Was nimmst Du daraus für Deine persönliche Zukunft mit?
Das stimmt! Mir war allerdings nicht von Anfang an bewusst, wie viele Arbeitsschritte auf mich warten würden. Aufgaben mussten gemeistert werden, von denen ich keine Ahnung hatte. Ich hatte also nur eine Lösung: Profis aus den Bereichen kontaktieren und mit Fragen löchern. Die Kontakte und die dazu gewonnene Projekterfahrung nehme ich sehr gerne mit.
Was wäre für Dich das schönste Ziel, das Du mit Deinem Buch erreichen könntest?
Ich möchte vor allem jungen Menschen sagen, dass Du alles erreichen kannst, was Du Dir wünschst und für was Deine Leidenschaft brennt. Du musst es nur mit absoluter Willensstärke und Selbstüberzeugung anpacken. Und auch dafür steht mein Buchprojekt „Arsch ohne Profil“, das ich ganz alleine von A bis Z durchgezogen habe.